Narzissmus in der Paartherapie

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In meinem letzten Beitrag habe ich erklärt, wie die beiden Extrempole des Narzissmus aussehen und sich voneinander unterscheiden. Heute möchte ich darstellen, wie sie am häufigsten in meiner Praxis auftreten. Die bitterste Nachricht zuerst: Niemand ist in einer Partnerschaft mit einem Narzissten, ohne nicht selbst auch entsprechende Anteile zu haben, wobei die Ausprägung der narzisstischen Persönlichkeitszüge immer unterschiedlich sind. Aber das will natürlich keiner so gerne hören.

Narzisstische Kollusion

Dieser Begriff stammt (in diesem Zusammenhang) von dem Schweizer Psychiater und Paartherapeuten Jürg Willi und wird verwendet, wenn von einem Paar innerhalb einer Zweierbeziehung eine ähnliche „Grundmelodie“ gespielt wird. Die Kern(problem)themen der Partner greifen derart ineinander, dass die Beziehung genau dadurch existieren kann. Man könnte sagen, der eine braucht den anderen um von seinem eigenen Thema abzulenken und solange sich keiner von beiden verändert und auch die Lebensumstände gleichbleiben, können diese Beziehungen tatsächlich funktionieren (über die Qualität möchte ich hier nicht urteilen). Aber wehe dem, der hier für Wellenschlag sorgt!

Jeder kennt sicher die Helfer-/Pfleglingsbeziehungen, in denen ein Partner bedürftig/krank ist und der andere diesen pflegt. Beide brauchen sich, um von ihrem eigentlichen Thema abzulenken und stabilisieren dadurch ihre Partnerschaft. Die Narzisstische Kollusion allerdings kommt in der Praxis am häufigsten vor und um die geht es heute.

Alles, nur keine Augenhöhe

Hier finden sich nämlich die beiden Extreme des Narzissmus innerhalb einer Beziehung wieder, was ganz schön spannend werden kann. Der „Grandiose“ Typ trifft auf den „Unterwürfigen“. Weil ersterer häufiger bei Männern zu finden ist, wird er auch „Männlicher Narzissmus“ genannt, der andere hingegen ist der „Weibliche Narzissmus“. Ebenfalls sind sie unter den Begriffen „Größenselbst-Narzisst“ und „Größenklein-Narzisst“ bekannt. Ich persönlich spreche am liebsten von einem Narzissten (egal welchen Geschlechts) und dem Pendant, dem sogenannten Co-Narzissten (auch egal, welches Geschlecht dieser hat).

Für welche Begrifflichkeiten wir uns auch immer entscheiden mögen, so ist eines in ihren Beziehungen immer gleich: Es gibt niemals Augenhöhe! Dennoch sind sie absolut davon überzeugt, dass sie in einer guten Partnerschaft leben. Beide decken sich gegenseitig ihre blinden Flecken. Da fragt man sich doch, warum diese Paare überhaupt zu einem Therapeuten kommen. Das ist eigentlich ganz einfach.

Weil diese Paare nie auf Augenhöhe agieren, haben sie immer eine Schieflage. Narzisst ist oben, Co-Narzisst unten, wie auf einer Wippe (manchmal ähnelt das Verhalten auch tatsächlich einem Kinderspielplatz). Sie leben immer in Machtbeziehungen und sind unentwegt in Machtkämpfe verstrickt. Oft droht der Co-Narzisst mit Trennung oder ist dabei diese schon zu vollziehen, oder das Paar ist noch in extreme Streitspiralen verwickelt; jedenfalls muss der Leidensdruck immer riesig sein, damit sie unsere Türschwelle übertreten. Narzissten suchen in der Therapie im Grunde nur einen Schiedsrichter, jemanden, der ihnen Recht gibt und dem Partner somit Unrecht. Dass Therapie alles ist, aber nicht das, brauche ich hoffentlich nicht erwähnen.

Das große Leid der Narzissten

Sie können nicht mit Kritik umgehen, egal wie konstruktiv sie gemeint ist. Es ist ein bisschen wie ein Eiertanz. Anerkennung, Bestätigung, Lob, Ansehen usw. ist das, wonach sie unaufhaltsam streben. Dafür würden sie beinahe alles tun. Der Narzisst braucht unendliche und stetige Bewunderung, die er von seinem Co-Narzissten zumindest am Anfang der Beziehung auch immer erhält (hier nochmal kurz an die für beide so wichtigen Statussymbole denken;-)). Wehe aber, wenn die Bewunderung ausbleibt, zum Beispiel weil ein Baby geboren wird oder der Hund einmal mehr Zuwendung bekommt.

Zugrunde liegt allen narzisstischen Menschen ein mangelndes, meist sogar gänzlich fehlendes Selbstwertgefühl, das sich bei beiden Partnern als die Wurzel des Übels zeigt. Es handelt sich immer um frühkindliche (nicht positive) Erfahrungen, also im Grunde um eine Beziehungsstörung mit den Bezugspersonen. Der Schmerz über die erlebten Defizite wird nicht erkannt und aufgearbeitet, so dass die Kompensation viele verschiedene Gesichter haben kann, Hauptsache der alte tiefe Schmerz wird nicht gespürt. Je größer der erlebte Mangel an elterlicher Liebe war, desto stärker die Abwehr, um die erlebten Kränkungen auch nie wieder spüren zu müssen. Das erklärt auch die heftigen Reaktionen, wenn der Partner diesen verletzten Kern berührt, indem sein Verhalten den Narzissten triggert und alte Wunden aufreißt.

Der Therapeut / die Therapeutin

Der Narzisst ist es gewohnt, sich mit Menschen zu umgeben, die zu ihnen aufschauen und sie bewundern. Das wäre als Therapeut eher kontraproduktives Verhalten;-). Wenn sie den Raum betreten, möchten sie rasch Klarheit schaffen, wer das Sagen hat. Weil Narzissten zutiefst unsichere Menschen sind, müssen sie ihr Umfeld einteilen und kategorisieren, in Freund oder Feind. Wenn man über keinen Selbstwert verfügt, muss man zumindest so tun, als wenn man ihn hätte, und die eigene Aufwertung erfolgt oft über die Abwertung anderer. Sie verhalten sich gerne nach dem Motto: Ich bin okay, aber du nicht!

Die Co-Narzissten spielen das ewige Spiel der Opfer, das ich auch „Hab nix – kann nix – bin nix“ nenne und leben das Motto: Du bist okay, aber ich nicht!

Daher ist es von Vorteil, wenn der Therapeut selbst so reflektiert ist und seine eigenen narzisstischen Anteile kennt, damit er in das Spiel von Aufwertung und Abwertung auf keinen Fall einsteigt. Eigene narzisstische blinde Flecken hätten verheerende Folgen. Denn man stelle sich vor, eine Therapeutin bewundert ihren Klienten, der sich ohnehin schon im Bereich des Größenwahns befindet. Oder ein Therapeut versucht seine jammernde, klagende Klientin aus ihrem Opfer-Dasein zu holen, indem er sie in ihrem Leid permanent bestätigt. Die Therapie wäre sinnlos.

Fazit

Es muss in der Paartherapie gelingen, die Klienten dort abzuholen, wo sie stehen und ihren Schmerz, der ihrem Verhalten zugrunde liegt, wirklich erkennen. Geschieht das von seiten des Therapeuten nicht, können Übertragungsgefühle von Wut und Verachtung oder sogar Mitleid entstehen, was keine Therapiegrundlage sein darf.  Ausschließlich Mitgefühl (nicht Mitleid!) kann die Basis einer guten und professionellen Therapeuten-/Klientenbeziehung sein. Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass der Klient, also der Narzisst, nichts von Gefühlen hören will und meist sogar aggressiv reagiert, wenn man ihn nach seiner Kindheit befragt. Schließlich sitzt genau hier der Schmerz.

Es ist ein Balanceakt, zwischen den beiden narzisstischen Extremen hin- und her zu schwingen, beiden Partnern das Gefühl zu geben, dass sie gesehen und gehört werden. Mitzugehen, aber dennoch zu führen – mit einer klaren Haltung der Unparteilichkeit. Echte Augenhöhe herzustellen, obwohl das für Narzissten absolut unbekanntes Terrain ist.

 

Foto: © Alexandra Hartmann

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